Cannabis und der Entourage-Effekt
Erstellt am: 01.08.2022 Aktualisiert am: 06.03.2023 Autor: Alexandra Latour
In Verbindung mit CBD-Ölen, die als Vollspektrum-Extrakte angeboten werden, fällt häufig der Begriff Entourage-Effekt. Dieser stammt aus der Cannabis-Forschung und beschreibt die These, dass das gesamte Spektrum der Cannabispflanze – also alle Inhaltsstoffe wie Phytocannabinoide, Terpene und Flavonoide – Synergien bilden und damit eine bessere Wirkung entfalten als eine Einzelsubstanz. Deshalb beschäftigen wir uns im folgenden Artikel mit den Fragen, was der Entourage-Effekt eigentlich ist und ob auch frei käufliche Produkte diesen bieten können.
Das Endocannabinoid-System ist ein Teil des Nervensystems im menschlichen Körper und funktioniert wie ein Regulationssystem. Es ist an zahlreichen Prozessen im Körper beteiligt, wie zum Beispiel:
Schmerzempfinden
Emotionen
Schlaf
Appetit
Immunsystem
Entzündungsprozesse
Körpereigene Cannabinoide (Endocannabinoide) und die Cannabinoide aus der Cannabispflanze binden an die Cannabinoid-Rezeptoren, die sich nahezu im gesamten Körper nachweisen lassen und lösen damit eine Reaktion bzw. Wirkung aus. Deshalb ist das Endocannabinoid-System ein vielversprechendes Ziel für die Behandlung von einer Vielzahl von Beschwerden und Krankheiten.
Bei der Entwicklung von Cannabis-Medikamenten gibt es zwei Ansätze:
Arzneimittel, die direkt aus der Cannabispflanze gewonnen werden und damit auch zahlreiche Inhaltsstoffe aus der Pflanze beinhalten.
Identifizierung von einzelnen Cannabinoiden mit therapeutischem Potenzial, die für die Entwicklung von Medikamenten pharmazeutisch synthetisiert werden.
Bekannte Cannabis-Forscher wie Rapheal Mechoulam, Shimon Ben-Shabat und Ethan Russo haben hierzu zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, um festzustellen, ob eine Einzelsubstanz oder aber das gesamte Spektrum der Hanfpflanze eine bessere Wirkung erzielen.
Im Folgenden werden einige Untersuchungen kurz vorgestellt, die zeigen, dass eine Kombination aus Cannabinoiden und Terpenen eine bessere Wirkung erzielen als einzelne isolierte Bestandteile der Cannabispflanze [1].
Patienten mit chronischen Schmerzen erhielten neben ihrer Opioid-Therapie einen THC-dominanten Extrakt. Doch im Vergleich zum Placebo (Scheinmedikament) konnte der THC-Extrakt keine bessere Wirkung erzielen. Hingegen war ein Ganzpflanzenextrakt mit Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) wirksamer [2].
Nachdem Tiere mit reinem CBD aus der Hanfpflanze behandelt wurden veränderte sich die Schmerzreaktion positiv bei geringen Dosen. Höhere CBD-Dosen zeigen jedoch keine Effekte. Ein Vollspektrum-Cannabisextrakt, das verschiedene Cannabinoide und Terpene beinhaltete, veränderte bei jeder Dosis das Schmerzempfinden der Tiere [3].
In einer Studie mit mehreren menschlichen Brustkrebszelllinien zeigte sich ein Cannabisextrakt überlegener als reines THC [4]. Auch hier war die Synergie-Wirkung der Cannabinoide und Terpene von Bedeutung.
An Mäusen wurde die antiepileptische Wirkung von mehreren Cannabisextrakten mit unterschiedlichen Cannabinoid- und Terpenenprofil getestet. Nur der CBD-Gehalt war in allen Cannabisextrakten gleich hoch und dennoch zeigten die Cannabisextrakte nicht die gleiche Wirkung [5].
Die antiepileptische Wirkung von medizinischem Cannabidiol (CBD) ist gut erforscht [6, 7, 8]. In verschiedenen klinischen Studien zeigte sich, dass Patienten, die unter einer schweren Epilepsie litten, mit Cannabisextrakten eine deutliche Verbesserung der Anfallshäufigkeit aufwiesen. Besonders interessant ist, dass die CBD-Dosen weitaus niedriger waren als in Studien mit dem CBD-Medikament Epidiolex, das aus reinem CBD besteht.
Darüber hinaus war in diesen Studien zu beobachten, dass die Häufigkeit leichter und schwerer unerwünschter Nebenwirkungen bei Patienten mit gereinigtem CBD im Vergleich zu Patienten mit CBD-Extrakt höher war. Dies führten die Forscher auf die niedrigen Dosen der CBD-Extrakte und die Synergie-Effekte der weiteren Verbindungen wie Cannabinoide, Terpene, Flavonoide etc. aus der Hanfpflanze zurück.
Diese Beobachtungen stützen die These einer größeren Wirkung von Cannabisextrakten, die mehrere krampflösende Komponenten wie die Cannabinoide CBD, THC, THCA, THCV, CBDV sowie das Terpen Linalool und den sekundären Pflanzenstoff Caryophyllen kombinieren.
Der Entourage-Effekt ist bislang nur eine Theorie, wobei die bisherigen Forschungen wichtige Hinweise liefern. Unklar ist, wie das Zusammenspiel der Cannabinoide und Terpene im menschlichen Körper funktioniert.
In einer interessanten Studie heißt es hierzu, dass der Entourage-Effekt auf biologische Beobachtungen zurückzuführen sei und dass die Aktivitäten von Endocannabinoid-Liganden durch andere Lipide, die gleichzeitig aus den Zellen freigesetzt werden, verändert werden können [9]. Eine zunehmende Anzahl von anekdotischen Berichten und das Interesse an der Pflanze haben dazu geführt, dass die Aktivitäten kleinerer chemischer Bestandteile der Pflanze erforscht wurde, darunter flüchtige Terpenoide wie Myrcen, α- und β-Pinen, β-Caryophyllen und Limonen. Bislang wurde jedoch keine eindeutige Wechselwirkung festgestellt.
In einer aktuellen Studie sollte festgestellt werden, ob Terpene in der Hanfpflanze eine nachweisbare rezeptorvermittelte Aktivität haben oder die Aktivität von THC und CBD oder dem Endocannabinoid 2-Arachidonylglycerol an den Cannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 verändern.
Mit der möglichen Ausnahme einer schwachen Wechselwirkung des Terpen β-Caryophyllen mit CB2 wurden keine Daten gewonnen, die die Hypothese stützen, dass irgendeines der fünf getesteten Terpene (entweder allein oder in Kombination) direkte Wechselwirkungen mit den Rezeptoren CB1 oder CB2 hat, da die Bindung von CBD und THC durch die Anwesenheit von Terpenen nicht verändert wurde. Ebenso wurde keine funktionelle Wirkung von Terpenen festgestellt, weder allein noch in Kombination mit CBD und THC oder 2-Arachidonylglycerol.
Im Ergebnis heißt es, dass diese Studie weitere Beweise dafür liefert, dass der mutmaßliche Entourage-Effekt nicht durch direkte Effekte an CB1 oder CB2 erklärt werden kann. Es seien weitere Forschungen notwendig, um die genauen Mechanismen zu verstehen.
Vorab müssen wir die Begrifflichkeiten Cannabis und Hanf erklären. Im Grund genommen handelt es sich um die gleiche Pflanze. Cannabis ist lediglich das lateinische Wort für Hanf. Umgangssprachlich werden mit Cannabis aber Pflanzen bezeichnet, die einen hohen THC-Gehalt aufweisen und deshalb dem Freizeitzweck oder medizinischen Zwecken dienen. Hingegen wird der Begriff Hanf für Nutzhanfpflanzen genutzt, deren THC-Gehalt sehr gering ist und in Deutschland unter 0,2 Prozent liegt.
In den zuvor genannten Studien kamen ausschließlich Extrakte aus Cannabispflanzen zum Einsatz und keine Extrakte aus Nutzhanfpflanzen. Deshalb stellt sich natürlich die Frage, ob frei käufliche CBD-Produkte wie CBD-Öl, CBD-Kapseln, CBD-Isolat etc., die ja nun aus Nutzhanfpflanzen gewonnen werden, ebenfalls einen Entourage-Effekt entfalten können.
Leider gibt es hierzu keine eindeutige Antwort. Ein Problem ist, dass Cannabis-Pflanzen weitaus mehr Cannabinoide, Terpene und Flavonoide bilden als Nutzhanfpflanzen. Auch ist nicht bekannt, welche Terpene genau in den Nutzhanfpflanzen vorkommen. Der EU-Sortenkatalog gibt hierzu keine Auskunft und nur selten lassen Hersteller von ihrem CBD-Öl ein Terpenenprofil erstellen. All dies bringt also folgende Probleme mit sich:
Die (Nutz-) Hanfpflanze bildet weniger Cannabinoide und Terpene als die Cannabis-Pflanzen. Ob also der Anteil an Cannabinoiden sowie den Terpenen „hoch“ genug ist, um einen Entourage-Effekt zu erzeugen, ist unklar.
Der Großteil der Hersteller lassen von ihrem Vollspektrum-CBD-Öl kein Terpenenprofil erstellen. Ob das Produkt also überhaupt Terpene enthält, und wenn ja, welche Terpene genau, lässt sich nicht sagen.
Je nach Ausgangsmaterial (Nutzhanfsorte) und Herstellungsverfahren können CBD-Öle in ihrer Zusammensetzung und Qualität extrem schwanken. Denn es gibt noch immer keine strengen Regulierungen oder standardisierte Herstellungsverfahren.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass ein frei käufliches Vollspektrum-CBD-Öl durchaus einen Entourage-Effekt bieten kann. Wer von dem Synergie-Effekt profitieren möchte, der sollte sich für ein CBD-Öl entscheiden, wo der Hersteller nicht nur ein Analysezertifikat zu den im Produkt enthaltenen Cannabinoiden zur Verfügung stellt, sondern auch ein Analysezertifikat, das Auskunft darüber gibt, ob und welche Terpene im Vollspektrum-CBD-Öl enthalten sind.
Aufgrund der über zehnjährigen freiberuflichen Autorinnentätigkeit für renommierte Gesundheitsportale und Online-Magazine übernahm Alexandra Latour Anfang 2017 die stellvertr. Redaktionsleitung von Leafly Deutschland. Auch nach der Schließung der deutschen Niederlassung von Leafly war sie weiterhin als Medizinredakteurin und Beraterin in der Cannabis- und CBD-Branche tätig und konnte sich hier eine umfangreiche Expertise aneignen.
[1] Russo EB. The Case for the Entourage Effect and Conventional Breeding of Clinical Cannabis: No "Strain," No Gain. Front Plant Sci. 2019 Jan 9;9:1969. doi: 10.3389/fpls.2018.01969. PMID: 30687364; PMCID: PMC6334252
[2] Johnson JR, Burnell-Nugent M, Lossignol D, Ganae-Motan ED, Potts R, Fallon MT. Multicenter, double-blind, randomized, placebo-controlled, parallel-group study of the efficacy, safety, and tolerability of THC:CBD extract and THC extract in patients with intractable cancer-related pain. J Pain Symptom Manage. 2010 Feb;39(2):167-79. doi: 10.1016/j.jpainsymman.2009.06.008. Epub 2009 Nov 5. PMID: 19896326
[3] R Gallily, L Hanus et al, The Lautenberg Center for General and Tumor Immunology, The Hebrew University of Jerusalem, 2015, DOI:10.4236/pp.2015.62010, Overcoming the Bell-Shaped Dose-Response of Cannabidiol by Using Cannabis Extract Enriched in Cannabidiol
[4] Blasco-Benito S, Seijo-Vila M, Caro-Villalobos M, Tundidor I, Andradas C, García-Taboada E, Wade J, Smith S, Guzmán M, Pérez-Gómez E, Gordon M, Sánchez C. Appraising the "entourage effect": Antitumor action of a pure cannabinoid versus a botanical drug preparation in preclinical models of breast cancer. Biochem Pharmacol. 2018 Nov;157:285-293. doi: 10.1016/j.bcp.2018.06.025. Epub 2018 Jun 27. PMID: 29940172
[5] Berman P, Futoran K, Lewitus GM, Mukha D, Benami M, Shlomi T, Meiri D. A new ESI-LC/MS approach for comprehensive metabolic profiling of phytocannabinoids in Cannabis. Sci Rep. 2018 Sep 24;8(1):14280. doi: 10.1038/s41598-018-32651-4. PMID: 30250104; PMCID: PMC6155167
[6] Russo EB. Cannabis and epilepsy: An ancient treatment returns to the fore. Epilepsy Behav. 2017 May;70(Pt B):292-297. doi: 10.1016/j.yebeh.2016.09.040. Epub 2016 Dec 15. PMID: 27989385
[7] Sulak D, Saneto R, Goldstein B. The current status of artisanal cannabis for the treatment of epilepsy in the United States. Epilepsy Behav. 2017 May;70(Pt B):328-333. doi: 10.1016/j.yebeh.2016.12.032. Epub 2017 Feb 21. PMID: 28254350
[8] Pamplona FA, da Silva LR, Coan AC. Potential Clinical Benefits of CBD-Rich Cannabis Extracts Over Purified CBD in Treatment-Resistant Epilepsy: Observational Data Meta-analysis. Front Neurol. 2018 Sep 12;9:759. doi: 10.3389/fneur.2018.00759. Erratum in: Front Neurol. 2019 Jan 10;9:1050. PMID: 30258398; PMCID: PMC6143706
[9] Finlay DB, Sircombe KJ, Nimick M, Jones C, Glass M. Terpenoids From Cannabis Do Not Mediate an Entourage Effect by Acting at Cannabinoid Receptors. Front Pharmacol. 2020 Mar 25;11:359. doi: 10.3389/fphar.2020.00359. PMID: 32269529; PMCID: PMC7109307